Volkshochschul-Veranstaltung in der Ferring-Stiftung: Reinhard Jannen gab Einblicke in die Arbeit eines Archivars.
Laut einer Definition sei ein Archivar „ein spitzweghafter Sonderling“, zitierte Reinhard Jannen. Aber das sei ein Klischee. „Wir stehen mit beiden Beinen im richtigen Leben“, sagte der Archivar der Ferring-Stiftung und des Amtes Föhr-Amrum zu Beginn seines Vortrags und sorgte für Lachen und Schmunzeln im Publikum. Im Rahmen einer Volkshochschul-Veranstaltung führte Jannen die Zuhörer in seine Arbeit als Archivar ein.
Der Begriff Archiv werde oft mit alt verbunden. „Ursprünglich war ein Archiv ein Raum, wo die Arbeit der Behörde gesammelt wurde“, erklärte der Fachmann. Heute gibt es zwei Archivgruppen, die Jannen beide betreut: die amtlichen und die privaten Archive. Ämter müssen Urkunden, Akten und Dokumente über Amtsgeschäfte noch über Jahrzehnte hinweg bereitstellen. „Geburtsregister müssen 110 Jahre, Heiratsregister 80 Jahre und Sterberegister 30 Jahre gelagert werden“, erklärte er. „Danach kommen sie ins Archiv.“
Private Archive beinhalten vor allem Nachlässe und Hinterlassenschaften. Hier wird zwischen vollständigen, unvollständigen und Nachlassstücken wie beispielsweise Memoiren unterschieden
Wie läuft die Erschließung eines Nachlasses ab? „Erst Inventarisieren, dann ordnen und am Ende verzeichnen“, erklärte Jannen. Zunächst müssten die Formalien geklärt werden: Wie ist der Nachlass ins Archiv gekommen? Wer ist der Besitzer? Wenn die rechtliche Form geklärt sei, werden die Bestände gesichtet.
Im Archiv der Ferring-Stiftung in Alkersum herrschen stetig 18 bis 19 Grad Celsius. „Außerdem ist eine Luftfeuchtigkeit von 50 bis 55 Prozent wichtig für den Erhalt der Schriftstücke“, erklärte der Archivar. „Deshalb darf die Tür nicht zu lange offen stehen.“
Wichtig sei, alle Metallteile wie unter anderem Büroklammern oder Tackernadeln aus den Schriftstücken zu entfernen, weil diese sonst rosten. „Im Schleswiger Landesarchiv gibt es Angestellte, die sind den ganzen Tag damit beschäftigt“, erzählte Jannen.
Die Schriftstücke werden dann in Säure freie Kartons verpackt. Anschließend gelangen sie ins Zwischenarchiv, wo sie darauf warten, geordnet zu werden. Schließlich muss der Nachlass verzeichnet werden. „Titel, Signatur und Laufzeit sind Pflichtvermerke. Alles wird in einem sogenannten Findbuch festgehalten“, erklärte der Archivar. Der Titel ist eine grobe Beschreibung des Nachlasses, die Signatur hilft später beim Finden des Bestandes und die Laufzeit setzt sich aus der Zeit zusammen, in der die Schriftstücke entstanden sind. Im Internet findet sich ein Gesamtkatalog mit allen Findbüchern der in Alkersum liegenden Archive.
Dort befindet sich neben dem Archiv der Ferring-Stiftung auch das Archiv des Amtes Föhr-Amrum, das Insel-Archiv, das Öömrang-Archiv und seit neustem auch das Kirchenarchiv. „Zusätzlich haben wir ein Bildarchiv mit 100 000 digitalisierten Fotos“, so Jannen.
Es gibt bisher 154 Nachlässe im Archiv. „Wir bekommen etwa zehn Stück im Jahr“, sagte Jannen. Manche bestehen aus zehn Teilen, andere aus noch mehr. „Ich bearbeite gerade den Nachlass von Frederik Paulsen. Dafür werde ich vermutlich allein vier Monaten brauchen, um den Bestand zu sichten“, erklärte der Fachmann.
Der Freiberufler ist kein gelernter Archivar. „Eigentlich bin ich Sprachwissenschaftler. Das hier ist nur ein Teil meiner Arbeit“, erklärte Reinhard Jannen. Er macht auch Bücher und lektoriert. Trotzdem verbringt er mindestens zwei Tage in der Woche im Archiv. Für die Arbeit im Amts-Archiv geht allein ein Tag drauf. Der Archivar spricht neben seiner Muttersprache Friesisch auch noch Deutsch und Dänisch. „Aber bei dem Kanzlei-Dänisch mancher Schriftstücke komme ich auch ins Schwanken“, sagte der Amrumer.
Gerade die Nachlässe interessieren ihn persönlich. „Es gibt wirklich spannende Lebensgeschichten. Ich schreibe gerade an einer Biographie über einen Amrumer Pastor. Dieser musste seine Kinder selbst beerdigen, da der zuständige Pastor es nicht rechtzeitig auf die Insel schaffte“, erzählte Jannen und stellte klar: „Es sind nicht nur Nachlässe berühmter Leute gefragt. Von Kapitänen haben wir beispielsweise fünf oder sechs Nachlässe. Aber von keinem einzigen Matrosen. Das wäre auch mal interessant.“
In der Regel sei alles interessant, was direkt mit der Person zu tun hat. „1933 wusste beispielsweise auch noch keiner wie interessant die Sachen aus der Zeit für die Menschen später werden würden“, versuchte der Archivar zu verdeutlichen.
Manchmal muss das Archiv aber auch Nachlässe ablehnen. „Das heißt aber nicht, dass diese weniger wert sind“, betonte Jannen. „Die Schriftgüter passen nur nicht zu unserem Archiv.“
Welche Nachlässe für das Archiv von Interesse sind, lasse sich schwer sagen. „Erstmal ist alles interessant“, sagte Jannen und stellt abschließend klar: „Jeder Mensch ist irgendwie bedeutend.“
Der Artikel aus dem Inselboten vom 30. Januar stammt von Anna Rüb.