Das Friesische zwischen Sylt und Helgoland, Föhr und Bredstedt hat nicht nur die Sturmfluten des Mittelalters überstanden, auch der Verlockung zum Sprachwechsel ins Niederdeutsche und Hochdeutsche haben sich so viele widersetzt, dass die nordfriesischen Dialekte bis heute als Alltagssprache erhalten blieben.
Sie werden in der Schule unterrichtet und sind im Rundfunk zu hören. Es ist das Bewusstsein einer eigenständigen westgermanischen Sprache, der Traditionen des Lebens am Meer und der Gemeinsamkeit im Kampf gegen die See, das den Widerstand und dass Engagement speist.
Zur Erforschung ihrer Sprachkultur waren die Friesen allerdings wiederholt auf den wissenschaftlichen Import von auswärts angewiesen. Exemplarisch hierfür steht die wissenschaftliche Laufbahn des Schweden Nils Århammar, der sein Leben der Erforschung der nordfriesischen Dialekte gewidmet hat. Lesen Sie auch
Am Beginn seiner Karriere stand der Germanist Ernst Löfstedt an der Universität Uppsala, der das Friesische zu seiner fachlichen Domäne gemacht und zahlreiche Schüler für dies kleine Fach gewonnen hat. Århammar begann schon in den Sechzigerjahren, als Mitarbeiter der Nordfriesischen Wörterbuchstelle in Kiel, die Dialekte von Föhr, Amrum und Sylt zu untersuchen, setzte dies auch als Schwedisch-Lektor in Marburg fort, habilitierte sich dort 1974 und wurde 1976 an die Rijksuniversiteit Groningen, auf die damals einzige Professur für Friesisch in Europa berufen. 1988 übernahm er den neu eingerichteten Lehrstuhl an der Pädagogischen Hochschule Flensburg und wurde zugleich Direktor des Nordfriisk Instituut in Bredstedt.
Eine weitere Hilfe aus dem Norden erhielt die Frisistik durch den Löfstedt-Schüler Bo Sjölin. Er war zunächst langjähriger Mitarbeiter am Frýsk Institút der Universität Groningen, dann Inhaber der ersten Friesisch-Professur an der Universität Kiel. Diese hat inzwischen ein Westfriese, Jarich Hoekstra, inne. Zu den bedeutenden fachlichen Importen zählt auch der Amerikaner Marren C. Fort, der sich an der Universität Oldenburg ein halbes Leben lang der Beschreibung und Rettung der letzten ostfriesischen Enklave, dem Saterfriesischen, gewidmet hat. Ohne die beiden Schweden, den Amerikaner und den Westfriesen stünde es schlecht um das Fach in Deutschland.
Nils Århammar war ein begnadeter Feldforscher. Seine Leidenschaft galt dem erforschenden Gespräch mit den Dialektsprechern in Nordfriesland. Er beherrschte die Dialekte auch aktiv und beschrieb erschöpfend ihre differenzierte Vielfalt und sprachhistorische Entwicklung. Maßgeblich war seine Mitarbeit am „Handbuch des Friesischen“ (2001), der ersten umfassenden Gesamtdarstellung des Faches. Seine Autorität im Fach trug wesentlich zur Zusammenarbeit von 45 Autoren aus sechs Nationen bei. Über Jahrzehnte arbeitete Århammar, zusammen mit seiner Frau Ritva, an einem Wörterbuch des Helgoländer Friesisch. Die Helgoländer ernannten ihn 2011 zum „verdienten Bürger‘“. Erst kürzlich erschien als erstes Ergebnis das zweisprachige „Halunder Wörterbuch“.
Kleine Fächer leben vom Enthusiasmus einzelner, oft aus benachbarten Fächern. Das begann, als der Rechtsgelehrte Karl Freiherr von Richthofen, ein Schüler der Brüder Grimm, 1840 das erste, bisher nicht ersetzte Altfriesische Wörterbuch herausgab. Dem Breslauer Germanisten Theodor Siebs ist die erste „Geschichte der friesischen Sprache“(1901) zu danken.
Nils Århammar, Absolvent der Universität Uppsala, galt über Jahrzehnte zwischen Kiel und Groningen als der Altmeister seines Faches. Am 10. Januar 2022 ist er im Alter von 90 Jahren in Bredstedt gestorben.